Der perfekte Textbearbeiter

... denn ohne die ist der AlLtAg viel zu grau
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oxpus
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Der perfekte Textbearbeiter

Beitrag von oxpus »

“Miranda, erzeugt von 'Smartext' ist das Allerletzte in Textverarbeitungsprogrammen', versicherte mir der Verkaeufer, 'es ist eine faszinierende, voellig neue Methode.'
'Was kann man an den Textverarbeitern noch dazufuegen?' wunderte ich mich, 'sie sind bereits so vollkommen, daß ich mir nichts Zusaetzliches vorstellen kann: Ihr Thesaurus schlaegt, wenn verlangt, alternative Ausdruecke vor, man kann Ausschnitte aus anderen Akten oder Programmen oder sogar Bilder hinzufuegen; nicht davon zu reden, dass man Saetze mit Leichtigkeit verbessern oder umstellen kann...'
'Vergessen Sie das alles! Mit diesem Programm befinden Sie sich in einer neuen Welt. Was immer Sie schreiben, sollte es sich um wissenschaftliche Arbeiten, Romane oder nur Briefe handeln, dieser Textverarbeiter denkt fuer Sie! Er macht sie auf stilistische Vergehen aufmerksam, enthaelt tausende von Vorschlaegen allein fuer Geschaeftsbriefe, oder jede andere Art Korrespondenz, inklusiv Liebesbriefe, achtet auf Form und Logik des Geschriebenen, uebersieht die Folge der Paragraphen, verfasst Ihnen den passenden Abschluss und vieles mehr. Sie werden alle seine Faehigkeiten schnell und muehelos kennenlernen. Sie haben nichts zu tun, als sich an ihre Schreibarbeit zu begeben, und 'Miranda' wird Ihnen die noetigen Anweisungen geben, nicht etwa in dem bisherigen trockenen Stil, sondern mit intelligenten, stilvollen Bemerkungen, welche mit melodischer Stimme vorgetragen werden, und dabei fuehren Sie eine regelrechte Unterhaltung mit ihrem Computer. Bald wird es Ihnen scheinen, daß Sie mit einem menschlischen Partner zusammenarbeiten! Je nach Wunsch koennen Sie seine eventuellen Fragen durch Tastendruck oder muendlich beantworten! '

Nachdem ich das Wunderprogramm gespeichert habe, schalte ich es an. Eine melodische Frauenstimme ertoent: 'Willkommen bei Miranda, dem neuartigen Textverabeiterprogramm, Ihrem Partner bei allen Ihren Briefen oder Werken! Von nun an werden wir uns gemeinsam an die Arbeit machen und viele angenehme Stunden miteinander verbringen! Kein Kopfzerbrechen mehr! Miranda wird mit den gesammelten Erfahrungen hunderter von Schriftstellern und Fachleuten der Literatur zu Ihrer Seite stehen. Ich freue mich schon darauf! Sie koennen jetzt diese Willkommensrede ausloeschen, da sie bei den folgenden Einschaltungen des Programmes nicht mehr benoetigt wird.'
Eine Tafel erscheint: 'Ausloeschen?' 'Ja' 'Nein'
Diese Engelsstimme, sie kann einen wahnsinnig machen! 'Miranda' welch rassiger Name! Und die Einladung zu den vielen angenehmen Stunden! Wie sie das sagt, regt es die Phantasie zu den kuehnsten Vorstellungen an. Ich muß das noch einmal hoeren. Also waehle ich 'Nein'. Und starte das Program von Anfang an.
'Warum haben Sie beim ersten Mal nicht geloescht?' noergelt Miranda 'Jetzt muß ich die ganze Litanei wiederholen! Na gut!' Und danach leiert sie die Eroeffnungsrede herunter, etwa so, wie ein Schulmaedchen es mit einem pflichtmaessig erlernten Gedicht tuen wuerde. Aber sie hat Recht: Ich wuerde eine Frau, die mir etwas Aehnliches zufluestern wuerde, ja auch nicht auffordern, es zu wiederholen.
So mache ich mich an den Kriminalroman, welchen ich meinem Verleger bis Anfang naechster Woche liefern soll. Die ganze Handlung besteht schon in meinem Kopf und ich brauche sie nur noch zu Papier oder vorerst auf Bildschirm zu bringen. Fuer den Titel habe ich mich noch nicht entschlossen, aber das kann man problemlos am Schluß nachholen. Mit meinem neuen Helfer sollte ich alles in kuerzester Zeit schmeissen.
Also los: 'Inspektor Ruhelos...' Auf dem Bildschirm erscheint: 'Lieber Inspektor Ruhelos,'
Komisch, ich muss das aus dem Unterbewusstsein heraus geschrieben haben. Ich markiere das 'Lieber' und druecke den Ausloeschbefehl. Sofort steht es wieder da.
'Was zum Teufel soll das...!' entfaehrt mir.
'Ein Brief sollte mit einer passenden Anrede eroeffnet werden!' ermahnt Mirandas sanfte Stimme.
'Das ist kein Brief,' erklaere ich, 'das ist ein Kriminalroman!'
'In diesem Falle haben Sie nach Einschalten des Programmes Funktionstaste F6 zu druecken und von der darauf erscheinenden Liste den Ihnen passenden Vorschlag auszuwaehlen. Bei Unterlassung wird automatisch ein persoenlicher Brief angenommen.'

Dieses Program ist wirklich einmalig: Gleichzeitig mit ihrer Stimme kann man das Gesagte auch vom Bildschirm ablesen. Ich drücke F6 und erhalte eine Liste:
'Waehlen Sie bitte eine der untenstehenden Gruppen:
1. Brief
2. Schriftstellerische Arbeit
3. Wissenschaftliche Arbeit
4. Alle moeglichen Kritzeleien'
Ich waehle natuerlich no 2. Die Engelsstimme schnurrt: 'Sie waehlten 'Schriftstellerische Arbeiten'.'
Wie nett, mich darauf aufmerksam zu machen.
Ein Submenue wechselt das erste ab.
'Waehlen Sie bitte eines der folgenden:
1. Fachliteratur
2. Fiktion
3. Poesie
4. Belletristik
Zweifellos gehoert ein Kriminalknueller in die zweite Gruppe. 'Sie waehlten Fiktion.'
Es geht weiter:
'Waehlen Sie bitte eine Untergruppe:
1. Kriminalromane
2. Liebesromane
3. Science Fiction Romane
4. Abenteuerromane
5. Jugenderzaehlungen
6. Kinderbuecher
7. Sex
8. Alles Moegliche'
So! Nachdem ich Nummer eins gewaehlt habe, ist der Weg frei zur schoepferischen Arbeit.
Ich beginne: 'Inspektor Ruhelos hatte die Nacht schlecht verbracht...'
Ueber dem von mir Geschriebenen erscheint : 'Inspektor Ruheloses ruhelose Nacht.'
'Was soll das!' rufe ich. Die Stimme aus der anderen Welt erklaert - waehrend es gleichzeitig zu lesen ist -: 'Schriftstellerische Arbeiten erfordern einen Titel, um sich jederzeit namentlich auf sie beziehen zu koennen. Bei Unterlassung stellt das Programm einen dem Inhalt angepassten Titel.'
'Aber dieser Titel beschreibt ueberhaupt nicht den von mir geplanten Inhalt!'
'Bitte aendern Sie den Titel jetzt!' Gleichzeitig wird die dazu benoetigte Form sichtbar. Ich habe keine Lust mir jetzt den Kopf darueber zu zerbrechen. Titel fallen mir immer spaeter ein. Bleiben wir also momentan bei ihrem Vorschlag. Ich lenke den Pfeil mit der Maus auf den 'Cancel' Knopf, der freundlicherweise auf der Form mitgeliefert ist.
'Erst ja, dann nein,' schilt der Engel leicht veraergert, 'entscheiden Sie, was Sie wirklich wollen!'
'Nicht aendern', beschließe ich leicht verlegen.
Das Schriftfeld ist wieder frei. Ich kann nun ernsthaft fortfahren!
'Inspektor Ruhelos hatte die Nacht schlecht verbracht...' Nein, ich aendere das in 'schlecht geschlafen'.
''Schlecht verbracht' war besser', kommentiert Miranda.
'Danke,' erwidere ich, ''verbracht' wuerde ich gebrauchen, wenn er alle moeglichen Dinge ausser zu schlafen unternommen haette, aber er hatte lediglich geschlafen! Und zwar schlecht!'
''Schlecht geschlafen' klingt aeusserst abgedroschen. Wie waere es mit 'hatte unruhig geschlafen?' (Alle Vorschläge erscheinen gleichzeitig auf dem Bildschirm)'
'Nein er hatte einfach 'schlecht' geschlafen. Außerdem ist dieser Satz nur eine Einleitung...'
'In der Literatur ist die Einleitung sehr wichtig: Sie bestimmt, ob der potentielle Leser, welcher das Buch nur kurz durchblickt, es weiter lesen wird oder nicht!'
'Gut, ich werde das zukuenftig in Betracht nehmen, aber der Satz gefaellt mir, wie er ist.'
'Immer diese Rechthaberei! Nun gut, ich werde es diesmal durchlassen!'
'Danke vielmals!' Also: 'Inspektor Ruhelos hatte schlecht geschlafen. Als er aufwachte, erinnerte er sich als erstes an die heftige Diskussion, welche er tags zuvor mit seinem Chef hatte...'
'Gehabt hatte! Da von einer Begebenheit, welche sich vor der in der Vergangenheit abspielenden Handlung die Rede ist, ist die Vorvergangenheit zu verwenden!'
Aus irgend einem Grunde habe ich ploetzlich das Gefuehl, kein Schriftsteller zu sein, sondern mich in der Deutschstunde bei Studienrat Druckmann zu befinden.
'...mit seinem Chef gehabt hatte. Er hatte (Vorvergangenheit!) dem alten Bock endlich einmal die Meinung gesagt!'
'Ueberfluessig!'
'Was...?'
'Die Handlung muss voranschreiten. Es hat keinen Sinn sich saetzelang ueber etwas aufzuhalten, was sich vor der laufenden Handlung abgetan hat. Sollte es dennoch noetig sein, waere vorzuziehen, die Geschichte einen Tag zuvor starten zu lassen!'
Ich muss ploetzlich an meinen alten schwachsinnigen Textverarbeiter, den ich ausgeloescht und dessen Diskette ich dem vierzehnjaehrigen Sohn meines Freundes ueberlassen habe, denken. Er konnte nicht reden, hatte keine Idee von Stil oder Grammatik und liess alle Fluechtigskeitsfehler stehen, wie ich sie schrieb, so dass ich am Schluss alles sorgfaeltig noch einmal kontrollieren musste. Bei diesem Kohlkopf haette ich jetzt die ersten zwei Seiten hinter mir.
'Fuer die folgende Handlung ist der Hintergrund wichtig. Diesen versuche ich durch einen Rueckblick klar zu machen', erklaere ich meiner unnachgiebigen neuen Vorgetzten.
'Das kann man auch im Fortlauf der Handlung erreichen.'
'Das waere mir zu kompliziert, vor allem, da ich schon die Umrisse des Romans im Kopf habe. Ich muesste das alles neu durchdenken!'
'Meine Aufgabe ist, dabei zu helfen!'
Warum lasse ich mich in diese Diskussionen ein! Ich werde einfach weiterschreiben. Soll sie meckern! Also: ' Er hatte dem Kerl deutlich zu verstehen gegeben, dass er auf diese Weise nicht arbeiten konnte!' Ich habe alle die entsprechenden Tasten gedrueckt und bemerke erst am Schluß des Satzes, dass er nicht auf dem Bildschirm erscheint.
'Heh,' schrei ich, 'hoer auf damit!' Es ist ja klar, wer dahinter steckt.
'Zugang verweigert!'
'Mein Gott, kannst du nicht ein klein bisschen nachgiebig sein! Was kuemmert Dich, wie ich die Saetze zusammenbastle?'
'Dieses Programm ist ein Produkt der Smartext Gmbh., es representiert diese und hat perfekte Schriftarbeiten zu liefern. Der Slogan unserer Gesellschaft: Eine Welt ohne schlampiger Literatur!'
Um es kurz zu fassen: Der Anfang muß unter Mirandas strenger Aufsicht neu geschrieben werden. Das Ergebnis ist eine stilistisch perfekte, logisch aufgebaute Ansammlung von Saetzen, die sich irgendwie anhoeren wie... nun, wie soll man sagen,...wie von einem Computer geschrieben. Aber imerhin liest es sich fließend und sollte annehmbar sein. Zusammen fahren wir fort den Tagesanfang des Inspektors zu beschreiben und danach ist es an der Zeit den Verbrecher vorzustellen.
'Darf ich nun den Verbrecher vorstellen?'
'Sicherlich! Es ist ja Ihr Roman! Ich kann mich da nicht einmischen.'
Ich muß mich nun entscheiden, wie ich daran gehe: Soll ich eine vage Beschreibung geben, und seine Identitaet erst am Schluß - sozusagen als Ueberraschung - enthuellen, oder lasse ich ihn von Anfang an offen auftreten, so daß der Leser dem Inspektor etwas voraus ist und sowohl die Position der Gegnerspieler waehrend des weiteren Verlaufs selber einschaetzen als auch des Inspektors Naeherung an und Entfernung von der Loesung selber beurteilen kann. Das Letztere sollte ganz interessant sein.
'Franz rekelte sich wohlig in seinem Bett. Seine Phantasie arbeitete auf Hochtouren. Heute wuerde er endlich ausfuehren, was er sich zeit seiner Jugend in seinen Bettgedanken vorgestellt hatte. Das erste Mal war es ueber ihn gekommen, als der Lehrer sich mit hoehnischen Bemerkungen ueber seinen Aufsatz ausgelassen hatte:
'Franz Baermann ist faehig hochstrebende Gedanken auf tiefster Ebene darzubieten...' und hatte seine Arbeit drei hoellische Minuten in diesem Stil kommentiert.
Die Klasse hatte gekichert und er, der immer schon ein Aussenseiter gewesen war, fuehlte sich noch einsamer in einer feindlichen Welt. Drei Maedchen hatten besonders stark aufgelacht und dieses Lachen hatte ihn sein Leben lang verfolgt und es beeintraechtigt. Wie er Maedels und jetzt, da er erwachsen war, alle weiblichen Wesen hasste! Jede Nacht war er erst eingeschlafen, nachdem er sich geniesserisch vorgestellt hatte, wie sein Messer...'
Mehrere Pfeiftoene. Der Text verschwindet vom Bildschirm.
'Franz Baermann weigert sich perverse Taten dieser Art auszufuehren!'
'Was!? Welcher Franz Baermann?'
'Der Franz Baermanns Ihres Romans!'
'Was soll der Quatsch? Der kann sich nicht weigern. Er existiert doch nur in meiner Phantasie!'
'In ihrer Phantasie schoepfen Schriftsteller Gottgleich ganze Welten. Diese Welten bestehen ebenfalls in der Phantasie der Leser. Also bestehen sie. Außerdem wird die beschriebene Welt gleichzeitig im Speicher des Computers erzeugt, was dem Programm eine klare Uebersicht über das Geschehnis ermoeglicht. Bis jetzt war das Schicksal der Kreaturen dieser Phantasiewelt voellig abhaengig von den oft grausamen Launen des Schriftstellers. Die Textverarbeiterprogramme der neuen Epoche, welche einerseits dem Schriftsteller auf einzigartige Weise zur Seite stehen, werden andererseits auch die Rechte der Romanfiguren wahren. Diese haben das Recht sich zu weigern, eine Tat auszufuehren.'
' Aber Schauspieler spielen doch auch ihre Rolle, auch wenn sie noch so Schreckliches auszufuehren haben.'
'Der Unterschied besteht darin, dass die Taten im Film oder auf der Buehne nur scheinbar ausgefuehrt werden. Aber die Phantasiefiguren sind gezwungen die ihnen zugeschriebenen Taten wirklich auszufuehren und jedweges beschriebene Schicksal zu erleiden! Franz Baermann wehrt sich gegen Ihre Zumutung!'
'Also schaffe mir schnell einen richtigen Moerder her!'
'Ich habe achtunddreissig Kandidaten fuer Messermorde, aber keiner von ihnen leidet unter den beschriebenen Komplexen.'
'Du lieber Himmel! Wie soll ich also weiterschreiben?!'
'Sie koennen noch einmal nach der Stelle 'rekelte sich wohlig im Bett' anfangen und koennten dann zum Beispiel mit Leon Blumig fortfahren, dessen Manie ist, Personen mit physischen Makeln ins Jenseits zu befoerdern.'
'Bloss nicht, das waere ja eine ganz andere Geschichte! Ich brauche jemand der Frauen hasst!'
'Hier ist eine Liste von achtundachtzig Frauenhassern, von welchen jedoch keiner Morde begeht. Nummer eins auf der Liste liebt Frauen mit Farben zu bekleckern, Nummer zwei...'
'Nein, ich brauche einen Frauenhasser, der sie umbringt!'
'Die Loesung waere, dass Sie selber einen solchen Mord begehen, sich als Frauenfeind erklaeren, womit sie in die Mirandastatistik aufgenommen werden und schliesslich in das Personenverzeichnis kopiert werden koennen!'
'Ja, ja! Das werde ich tun! Alles, um meinen Roman zu Ende schreiben koennen!'

SAPULSKY VERLAG G.M.B.H.

Lieber Herr Blaustein,
Wir nehmen mit Bedauern Ihren momentanen seelischen Zustand in Kenntnis und hoffen, dass Sie Ihre Probleme mit Hilfe passender professioneller Unterstuetzung ueberwinden werden. Betreffs der Behauptung, dass sie eine gewisse 'Miranda abgewuergt' haben, koennen wir nur hoffen, dass es sich um eine Redewendung handelt.
Leider koennen wir Ihren mit Kugelschreiber geschriebenen Roman keinesfalls beruecksichtigen.
Ich verbleibe....
Karsten Ude
-={ Das Mädchen für alles }=-
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